Kreuzbandriss: Konservativ behandeln oder operieren?
Was der Orthopäde aus heutiger Sicht empfiehlt
Zu den häufigsten Sportverletzungen gehört der Riss des vorderen Kreuzbandes (VKB). Was ist besser: OP oder konservative Therapie? Die kurze Antwort: Es kommt darauf an. Ausführliche Antworten und Entscheidungskriterien finden Sie in diesem Beitrag von unserem Orthopäden und Sportmediziner.

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Im Praevent Centrum behandeln wir viele Profisportler. Auch Menschen mit privaten sportlichen Ambitionen suchen unseren Rat. Daher sind wir besonders oft mit einer der häufigsten Sportverletzungen konfrontiert: dem Riss des vorderen Kreuzbandes (VKB).
Aus dieser umfangreichen Erfahrung heraus stellen wir Ihnen hier Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten vor und liefern Kriterien für die Entscheidungsfindung: Operation oder konservative Behandlung?
Das vordere Kreuzband
Die Kreuzbänder (das vordere und das hintere Kreuzband) bestehen aus Faserbündeln und gehören zum Bandapparat im Knie, der Oberschenkel (Femur) und Schienbein (Tibia) miteinander verbindet. Ihren Namen haben die zwei Bänder ihrer Lage zu verdanken: Sie überkreuzen sich in der Mitte des Kniegelenks.
Die Kreuzbänder stabilisieren das Kniegelenk und geben ihm Halt bei Bewegung. Sie dienen quasi der Führung, indem sie die Rotation des Kniegelenks und die Streckung des Schienbeins begrenzen. Damit sorgen sie dafür, dass der Unter- und Oberschenkel sich nicht unkontrolliert bzw. übermäßig gegeneinander verschieben.

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Ruptur des vorderen Kreuzbandes (Kreuzbandriss)
Das vordere Kreuzband reißt wesentlich häufiger als das hintere. Dies liegt einerseits daran, dass es schwächer ausgelegt ist. Hinzu kommen die unterschiedlichen spezifischen Funktionen der beiden Bänder.
Die wohl häufigste Ursache sind übermäßige und ruckartige, unkontrollierte Verdrehungen des Knies, oft verbunden mit hoher Belastung, zum Beispiel abruptes Abbremsen und Richtungswechsel, starker Druck durch eine harte Landung nach einem Sprung.
Dabei handelt es sich meistens um Sportverletzungen ohne Fremdeinwirkung. Andauernde Fehl- und Überbelastung, oft einhergehend mit muskulären Dysbalancen und Verschleißerscheinungen, werden buchstäblich zur Zerreißprobe.
Bei diesen Sportarten ist das vordere Kreuzband besonders gefährdet
Kreuzbandverletzungen treten besonders häufig bei den so genannten Stop-and-go- Sportarten auf, so zum Beispiel: Fußball, Handball, Basketball, (Eis-)Hockey, Tennis, Badminton, Squash. Stark gefährdet sind auch Skifahrer. Und auch Kampfsportarten bergen ein hohes Risiko.
Kreuzbandriss: aktueller Stand der Medizin
Früher hat man beim Riss des vorderen Kreuzbandes fast immer zur OP geraten, heute sieht der Orthopäde es differenzierter. Für die Wahl der richtigen Behandlung gilt es, eine ganze Reihe von Faktoren zu berücksichtigen:
• persönliche Lebensumstände
• Lebensstil
• Lebensalter
• allgemeiner Gesundheitszustand
• körperliche Gegebenheiten
• sportliche Ziele für die Zukunft
• berufliche Situation
• persönliche Wünsche
• Ausprägung des Kreuzbandrisses (zum Beispiel komplette Ruptur, Teilruptur)
• Begleitverletzungen (beispielsweise Knorpelschäden, Meniskus)
• klinische Befunde
OP: So wird der Kreuzbandriss operiert
Zu den gängigsten Operationsverfahren gehört heute der Kreuzbandersatz (Kreuzbandersatzplastik). Dabei wird das gerissene Kreuzband entfernt und durch ein Transplantat – eine körpereigene Sehne – ersetzt. Als Sehnentransplantat eignen sich drei Beinsehnen: Kniescheibensehne (Patellarsehne), Kniebeugesehne (Semitendinosus- und/oder Gracilissehne = Hamstrings) sowie die Oberschenkelsehne (Quadrizepssehne).
Es gibt verschieden Operationstechniken und Techniken zur Fixierung der Transplantate. Neben dem Ersatz des Kreuzbandes besteht auch die Möglichkeit einer Kreuzbandnaht (Rekonstruktion) oder Anfrischung des Knochens zur Wiedereinheilung (Refixation).
Die Operation wird in der Regel arthroskopisch (minimal-invasiv) durchgeführt. Welches Operationsverfahren zum Einsatz kommt, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Unter anderem spielen hier die Art der Ruptur, Begleit- und Vorverletzungen sowie die Anatomie eine Rolle.
So behandelt der Orthopäde konservativ
Je nach Schweregrad der Ruptur wird das Knie zunächst für eine Weile mit einer Schiene (Orthese) stabilisiert. A und O einer konservativen Behandlung sind die Stabilisation des Kniegelenks, insbesondere durch Kräftigung der Muskulatur (speziell der umliegenden Oberschenkelmuskulatur) und Koordinationsübungen.
Zum Einsatz kommen dabei vor allem physiotherapeutische Maßnahmen (Krankengymnastik) und gezieltes Training. Hinzu kommen ergänzende, komplementäre Therapien und Verfahren, wie etwa Kinesio-Taping, Hyaluroninjektionen, ACP-Therapie, Akupunktur.
Zudem muss der Patient geschult werden und lernen, mit möglichen Einschränkungen umzugehen. Wichtig sind außerdem regelmäßige Kontrolle und Beobachtung.
Fragen und Antworten
„Was sind die Vorteile einer konservativen Behandlung?“
Generell vermeidet man die Risiken, die jede OP mit sich bringt. Bei guter Stabilität ist man deutlich schneller wieder arbeitsfähig und auch schneller wieder sportfähig. Das sind entscheidende Vorteile.
„Welche Nachteile oder Risiken bringt die konservative Therapie mit sich?“
Das Hauptrisiko ist, dass es zu Instabilitäten kommen kann. Entsprechend muss man sich dann – vor allem sportlich – deutlich stärker einschränken. Die Instabilität spürt der Patient auch oft, und es kommt häufig zu dem so genannten „Giving Way“: das Knie gibt nach.
Zahlreiche Untersuchungen zeigen höhere Degenerationsraten bzw. Folgeschäden im Vergleich zu einer OP (Meniskusschäden, Knorpelschäden, Arthrose und andere). Bei solchen Symptomen ist dann die Operation zu empfehlen!
„Was sind die Vorteile einer Operation?“
Mit einer OP lässt sich meist deutlich mehr Stabilität herstellen. Das ist insbesondere dann von Vorteil, wenn hohe Aktivität, sportlich und beruflich, im Vordergrund steht. Und einhergehend mit der größeren Stabilität kommt es auch in der Regel zu weniger Folgeschäden.
„Kann sofort operiert werden oder sollte ich noch warten?“
Eine Operation ist innerhalb der ersten acht Tage möglich oder nach sechs Wochen. Auch das muss von Fall zu Fall entschieden werden. Unter anderem spielen bei der Entscheidung Begleitverletzungen eine Rolle.
Letztendlich entscheidet das immer der Operateur.
„Welche Nachteile oder Risiken bringt eine Operation mit sich?“
Neben den allgemeinen Risiken, die jede OP mit sich bringt, kann es vereinzelt an der Stelle der Implantat-Entnahme zu Beschwerden kommen. Einer der größten Nachteile einer OP ist die relativ lange Zeit bis die Arbeitsfähigkeit wieder hergestellt ist und bis der Patient wieder vollständig in die sportliche Belastung eintreten kann. Bei Stop-and-go Sportarten reden wir hier von bis zu neun Monaten!
„Was geschieht in der Reha nach der OP?“
Ähnlich wie in der konservativen Therapie und bei der Praevention stehen in der Reha Stabilisation, Koordination und Muskelaufbau im Vordergrund. Dies muss systematisch geschehen. Nach und nach wird der Patient an zunehmende Belastung herangeführt. Je nach Operationstechnik und auch je nach Operateur gibt es sehr unterschiedliche zeitliche Vorgaben. Ganz wichtig ist auch hier die Schulung: Worauf muss ich in Zukunft besonders achten? Wie kann ich mein Knie im Alltag und beim Sport schützen?
„Wie schnell bin ich wieder fit?“
Das lässt sich pauschal nicht sagen. Der stationäre OP-Aufenthalt dauert nur ein paar Tage. Aber die anschließende Heilungs-, Reha- und Aufbauphase hängt stark von den individuellen Gegebenheiten ab. In der Regel ist eine Sportfähigkeit für Stop-and-go Sportarten nach sechs bis neun Monaten erreicht. Wann ein Patient sein Knie wieder gut belasten kann (sportlich und beruflich), muss immer mit dem Orthopäden besprochen und geklärt werden. Wer zu früh zu stark belastet, riskiert erneute oder weitere Verletzungen.
„Kann ich hinterher meine Sportart weiter ausüben?“
Ein hoher Prozentsatz kommt wieder in den Sport zurück und findet auch wieder zur alten Leistungsfähigkeit. Trotzdem muss man gerade bei Risikosportarten intensiv aufklären über die Gefahr einer Reruptur. Beim Hobbysportler sollte man mit dem Patienten auf jeden Fall über Risikominimierung reden.
„Kann ich dieser häufigen Sportverletzung vorbeugen?“
Ja, Praevention ist möglich. Insbesondere ist es wichtig, muskuläre Dysbalancen auszugleichen. So entlastet zum Beispiel eine kräftige Oberschenkelmuskulatur das Knie, aber oft wird der vordere Oberschenkelmuskel zu stark auftrainiert und der hintere vernachlässigt. Dieses Ungleichgewicht kann dem vorderen Kreuzband zu schaffen machen. Hinzu kommen generell Stabilisationsübungen. Wie man heute weiß, ist insbesondere eine gute Rumpfmuskulatur wichtig. Darüber hinaus alles, was Gleichgewicht und Koordination stärkt und fördert. Wie es um die eigene Muskulatur und ggfs. Dysbalancen steht, kann sehr genau von uns im Rahmen individueller Check-up Untersuchungen ermittelt werden. Anhand dessen lassen sich gezielte Trainings- und Übungspläne erarbeiten.
Fazit: Entscheidung sorgfältig bedenken
Wie so oft in der Medizin gibt es nicht DIE EINE richtige Lösung, die für alle Patienten zutrifft. Daher sollte sich Ihr Orthopäde die Zeit nehmen, Ihre Therapiemöglichkeiten ausführlich mit Ihnen zu besprechen, Ihnen alle Faktoren ausführlich darstellen und auf Ihre persönlichen Wünsche oder Bedenken eingehen. Einen hohen Stellenwert hat dabei, neben der Berücksichtigung der individuellen Faktoren, die umfassende Diagnostik und Erfahrung des Orthopäden.
Unser Autor Carsten Lueg verfügt über jahrelange Erfahrung in der operativen und konservativen Versorgung von Kreuzbandrissen. Er ist Orthopäde, Sporttraumatologe, Sportmediziner und Arzt für Praevention. Er betreut regelmäßig Spitzen- und Vereinssportler.